Morgens, halb zehn im Freibad

Berlin, 30 Grad

 

Morgens halb zehn im Freibad                                 

Eltern mit schulpflichtigen Kinder, die natürlich heute, wie zufällig, keine Schule hatten wegen Lehrermangel in Berlin.

Sie verteilen sich auf der Liegewiese, noch gibt es sie ja.

 

Gruppen von Jugendlichen, ebenfalls allesamt schulpflichtig, hatten sicher nachvollziehbare Atteste um dem Unterricht fern zu bleiben.

Sie spielen Ballspiele, natürlich am Gehweg. Sonst bekäme ja niemand den Ball an den Kopf.

Oder halb Tempelhof hatte Hitzefrei...

 

Damen ohne Badekappen, aber mit festgesprühten Haaren.

Damen mit Bademantel und je drei Freundinnen

Herren mit dem Boulevardblatt und Klappstuhl samt Proviant Tasche.

Herren ohne Zeitung, aber mit Ambitionen und Socken in Sandalen.

 

Und dann kommst du und glaubst, weil du eine Jahreskarte hast, kannst du an der Schlange vorbei ins Bad, schließlich heißt die Jahreskarte in Berlin ja Premiumkarte.

Nicht wenn du ein Schließfach brauchst. Dann stehst du da und wartest genau so wie alle anderen bis du dran bist.*

Hast du das erstmal geschafft und gehst zum Schwimmbecken, sind sie alle schon da. Und nicht auf dem Klappstuhl oder dem Gehweg oder auf der Liegewiese.

Nein. Sie sind alle im Wasser.

Du bist kurz vor der Verzweiflung

aber dann findest du eine kleine Lücke. Etwa 1,50 Meter breit. Teilst sie dir mit einer weiteren, verzweifelten Schwimmerin.

Platzsparend. Zwei Schwimmerinnen nebeneinander nehmen weniger Wasserfläche in Anspruch als einer, der auf dem Rücken liegend um sich schlägt. Und weniger als 2 Frisuren, die kreuz und quer über 3 Bahnen plaudern und ohne nass zu werden oder sich vorwärts zu bewegen, das Wasser für sich beanspruchen.

 

Du schwimmst, vorsichtig und brichst dir fast den Hals, weil du statt nach unten zu gucken, ständig nach vorn sehen musst. Es könnten ja die Herren mit Ambitionen und jetzt ohne Sandalen von der Seite ins Becken springen. Oder die Jugendlichen die davon überzeugt sind, all inklusive ohne Pflichten gebucht haben, mit Arschbombe zu dritt vom Beckenrand zu hopsen.

 

Irgendwie hast du 20 Meter geschafft, da kommt der Mann, der seitlich um sich schlägt. Mit den Armen, die Zeitung liegt auf dem Klappstuhl, auf dem Rücken liegend. Zusammenstoß.

 

Und garantiert sagt er „können sie nicht gucken, wo sie schwimmen“. Du antwortest „Und selbst so“ 

Wenn du jetzt nicht einfach weiter schwimmst, weil die Armada der Damen mit Bademantel, der natürlich akkurat gefaltet auf seinem Platz draußen liegt, und je drei Freundinnen irgendwie von der anderen Seite des Beckens plötzlich vor dir quer erscheinen und aufquieken, weil sie Wasser ins Gesicht bekommen haben, hast du ein Problem.

Der Rückenpaddler kennt viele unschöne Schimpfworte für Leute, die genau das tun, wofür ein Schwimmbad mal gebaut wurde. Schwimmen.

 

Die Damen mit den Badekappen und je drei Freundinnen pöbeln dich an: „ Müssen die nebeneinander schwimmen“ sagst du einfach: „ Und selbst so“


Spätestens jetzt musst du abtauchen.

Was sie dürfen, darfst du noch lange nicht. Schließlich plaudern sie und du erdreistest dich ohne plaudern einfach nur schwimmen zu wollen in einem Berliner Schwimmbad. Sie reden aber natürlich nicht mit dir, sondern nur über dich.

 

Schwimm nicht weiter, denn jetzt springt der Herr mit Socken in Sandalen, die er natürlich ausgezogen hat, von der Seite mit Kopfsprung ins Becken. Nachdem der umsichtige 'Bademeister' ihn freundlich auf die Hausordnung hingewiesen hat, hörst du ihn noch eine Viertelstunde danach darüber lamentieren. Seinen Fehler sieht er nicht ein, er ist schließlich alt genug, keine Fehler zu machen und der „junge Bengel“ (gemeint ist der freundliche Rettungsschwimmer, etwa Mitte 30) hat keine Ahnung.

 

Jetzt kannst du also weiter schwimmen. Dann musst du schnell sein.

 

Bist du nicht schnell genug, siehst du noch die Hinterteile von drei Jugendlichen über dir mit einer Arschbombe vom Beckenrand ins Wasser hopsen. Leider rutschen dabei mindestens zwei der vier übereinander gezogenen Stoffhosen, die sie sonst in der Disco tragen....

Hast du es irgendwie geschafft, 20 Bahnen mit all diesen Hindernissen zu schwimmen und das natürlich ohne dabei die am Rand stehenden Eltern bei der Wende zu berühren, und hast auch kein vom Startblock hüpfendes Kind in deinem Kreuz gespürt, dann bist du in einem Berliner Sommerbad überlebensfähig.

Dass du deinen Rucksack auf dem Boden findest, weil die akkurat gefalteten Bademäntel immer hier liegen, wundert dich dann auch nicht mehr.

 

Morgens, halb zehn in einem Freibad.

 

Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Vorkommnissen sind gewollt und es ist kein Zufall, wenn das jemandem heute genau so passiert ist....

Das klingt vielleicht für manchen Außenstehenden übertrieben oder witzig.

Ist es leider nicht.

Es gibt viele Besucher, für die das Schwimmbad ein Ort für soziale Kontakte ist.

Ich behaupte sogar, es ist eine große Gruppe, die dabei auch an körperliche Bewegung denkt.

Das finde ich großartig.

Diese Gruppe kann oder will gar nicht schwimmen, sondern einfach sich ein wenig im Wasser bewegen.

Ich wünsche mir, wenn ich älter bin, dass ich das auch noch mache.

Diese Gruppe ist zum Teil unsicher und kann sich oft nur mühsam über Wasser halten.

Aus dieser Unsicherheit heraus wird dann gepöbelt.

Klar, es gibt auch richtig boshafte, wie eben überall, aber ich unterstelle, der größte Teil will einfach nur etwas Bewegung und plaudernden

 

Viele von uns waren als Kinder oder Jugendliche auch übermütig. Ich denke, denen ist gar nicht klar, dass sie andere und sich gefährden mit diesem Übermut.

Anders sieht es mit den Leuten aus, die als Erwachsene sich einfach nicht an Regeln halten wollen. Ich stelle mir immer vor, das sind auch die Radwegparker, Drängler, Pöbler und Vorfahrtnehmer auf den Strassen.

Eltern mit Kindern mit Schwimmflügeln gehören angezeigt, wenn sie so im Schwimmerbecken herumturnen.

Das beschriebene Szenario kann man ganz einfach verhindern.

Bahnen einteilen und beschildern.

Und natürlich Aufsicht über die Einhaltung.

Zwei Leinen sind gut.

Drei Leinen sind optimal.

Eine für sportliche Schwimmer.

Das sind die, die sich rechtsseitig nach vorn bewegen ohne anderen Leuten auf den Kopf zu schlagen oder in der Wende zu überholen oder die Überholspur zu blockieren. Nicht das Tempo macht den Sportschwimmer, sondern die Fairness

Eine für Rückenschwimmer.

Eine für diejenigen, die zwar schwimmen, aber den Kopf nicht unter Wasser bringen wollen oder können.

Der Rest des Schwimmbeckens ist groß genug für diejenigen, die plaudern wollen. Die Sprungruben sind zum springen da und Nichtschwimmer können ins Nichtschwimmerbecken.

* Das kann man verhindern, in dem man Stammkunge mal Premiumservice anbietet. Spinde oder Schließfächer verpachten gegen Pfand. Das hatte ich vor langer Zeit den Berliner Bäder Betrieben vorgeschlagen. Eine Reaktion kam nie.