Ein Sommer wie er früher nie war

 

"Ein Fischlein steht im kühlen Grund,
Durchsichtig fließen die Wogen;
Und senkrecht ob ihm hat sein Rund
Ein schwebender Falk gezogen.
Der ist so klein und fern zu sehn,
Ein Punkt im blauen Dome;
Er sieht das Fischlein ruhig stehn,
Glänzend im tiefen Strome.

Und dieses auch hinwieder sieht
Ins Blaue durch seine Welle –
Ich glaube gar, die Sehnsucht zieht
Eins an des anderen Stelle!

Wenn man so frei, so kühl, so hoch
Wie ein Fisch oder Falk kann schweben,
Dann ist am End dies Sehnen noch
Der beste Teil am Leben!

Doch wer mit lahm gebognem Knie
Wie ein Wurm im Staub muss liegen,
Der zähme seine Phantasie,
Lern' schwimmen erst oder fliegen!"

Das Gedicht von Gottfried Keller passt wunderbar zu diesem außergewöhnlichen Sommer.

Außergewöhnlich für mich ganz persönlich. Ich habe ganz neue Erfahrungen machen können. Mit Menschen und im Wasser. Okay, letzteres nicht ganz neu, dafür mit Meer.

Und natürlich außergewöhnlich angesichts der Pandemie.

Schwimmbäder, die  unter neuen Bedingungen öffnen konnten. Landesgrenzen, die den unterschiedlichen Umgang mit Problemen deutlich machen. Und daraus immer wieder die wunderbare Erkenntnis, in welchem Luxus wir leben. Der Luxus der Demokratie, der Freiheit, in Frieden, mit einem sicher zu kritisierenden Gesundheitssystem, aber einem, das besser funktioniert als befürchtet.

Wir haben Glück, auch wenn die Pandemie noch lange nicht vorbei ist.



Abschied

Ich war diesen Sommer in keinem der wundervollen Großstadtparadiese in Berlin, in keinem Freibad. Die Entscheidung habe ich getroffen, als die Bedingungen fest standen und  Menschen mit kleinem Einkommen einfach aus den Berliner Bädern ausgeschlossen wurden mit dem Einheitspreis. Das war eine Art Abschied. Abschied aus einer Jahrzehnte langen Liebe zu den Berliner Bädern. So viele  Jahre im Sommerbad Mariendorf, 80 Tage meine Welt. Nicht in dieser Saison. Und Besuche in all den anderen schönen Anlagen der Stadt. Nicht in dieser Saison.

War ich  am Anfang eher traurig darüber, habe ich mir überlegt, wie ich für mich was draus machen kann.

Warum nicht den ganzen Sommer unterwegs sein. Statt als Ausnahme, während der alljährlichen Sommertour einmal die Woche,  noch mehr Freibäder im Nachbarbundesland entdecken und die, die ich schon kannte wiedersehen.

Und da ist ja noch das Freiwasser. Ich blieb. Und entdeckte eine Form des Schwimmens wieder, in der die Freiheit, die ich beim Schwimmen empfinde, noch einmal ganz anders zu fühlen ist.

Was die Berliner Sommerbäder betrifft, ist es also eine Zusammenfassung aus Umfrage unter den registrierten Blogleserinnen* und Bloglesern, den vielen E Mails, Anrufen und Whats Apps. Ein Blick in die Google Bewertungen hat da kaum ein anderes Bild ergeben. Ich finde den Ton in einigen Bewertungen unterirdisch, leider bestätigen sich die dort geschriebenen Dinge auch in seriöseren Zuschriften.

Unerträglich allerdings auch der opportunistische  Sprech derer, die so tun, als seien die BBB die Heilsbringer und sowohl Öffentlichkeit als auch Vereine und andere müssten dankbar sein, dass Bäder betrieben werden. Als seien diese nicht ein  hoch bezuschusster Betrieb, der für uns alle da sein muss, aber wer mag schon Opportunist*innen.  Genauso nervig wie diejenigen, die nicht anerkennen, dass es auch viele gute Dinge gibt bei den BBB und sich durch die Sozialen Medien pöbeln. Wir haben die schönen Bäder, die Mitarbeiter*innen, die ihren Job erkennbar gern machen und anderes.

Das verlorene Schwimmen

Als die Bäder geschlossen wurden, war mir- und vermutlich den meisten Schwimmer*innen- nicht klar, was auf mich zukommt, auch wenn ich einen Blogbeitrag dazu geschrieben hatte, der genau das forderte.

Nach einigen Tagen habe ich das Schwimmen vermisst, nach ein paar Wochen musste dann eine Lösung her.  Und die sah so aus, dass ich all meinen Mut zusammen nehmen musste und in einem See bei 10 Grad ins Wasser ging.

Ich hab mich echt gefragt, was ich da mache, aber schon nach den ersten 10 Minuten im Wasser nach 4 Wochen, war klar, das war nicht das letzte Mal.

Die Schwimmerinnen und Schwimmer im Land hatte es ganz unterschiedlich hart getroffen. Während in einigen Bundesländern im Freiwasser geschwommen werden durfte- oder hat man einfach nicht damit gerechnet, dass Leute aus Verzweiflung bei 10 Grad in die Gewässer gehen?- waren in anderen Bundesländern jegliche Aktivitäten im Wasser verboten. Während ich also das Glück hatte, im eiskalten See  Schwimmversuche zu machen und Panikattacken, Atemnot und Angst vor Fischen mich nicht bremsen konnten, mussten andere komplett auf unser Element verzichten.

Wiedergewonnene Bäder

Nach einigen düsteren Aussagen, dass die Freibäder der Stadt womöglich gar nicht öffnen können, großer Jubel, als es dann doch ging.

Unter Bedingungen. Begrenzte Anzahl an Bäderbesucher*innen, geschlossene Duschen und Umkleiden. Tickets zum Einheitspreis, 3,80/ dann 3,73 Euro, nur noch online, zahlbar nur mit Kreditkarte oder über eine irische Limited **. Ausschluss von Tausenden, die weder so zahlen konnten oder wollten, noch es sich leisten konnten.  Keine Ermäßigungen. Weder die Rot Rot Grüne Koalition noch der Aufsichtsrat haben eingegriffen.

Es gab auch das Gute im Pandemie Desaster: Digitalisierung im Geschwindigkeitsrausch. Was 20 Jahre nicht passierte, passiert nun 2020 binnen Wochen. Mit ein wenig Augenzwinkern und Nachsicht, denn das "digitale Ticket" wird jetzt gescannt, um dann eine Karte vor Ort auszudrucken.


Es wurde gesagt, 3,80/3,73 Euro sei der "Durchschnittspreis". In der Tabelle alle Ticket Optionen für Sommerbäder, so kann man selbst den Durchschnitt errechnen. Davon abgesehen, die Tarifstruktur, die Ermäßigungen vorsieht, wurde ausgehebelt.


Der Ausschluss vieler ermöglichte den anderen das gechillte Schwimmen.


Das Schwimmen der anderen

Zitate aus Zuschriften und Gesprächen:

"Woher haben die plötzlich die ganzen Leinen? Seit Jahren betteln wir um abgeleinte Bahnen. Das  Schwimmen in eine Richtung müssen einige aber echt noch lernen"


"Ich brauche einen Föhn, wenn ich vor der Arbeit schwimme"

"Ich bin 75 und kann zum ersten Mal in meinem Leben nicht schwimmen gehen weil ich kein Online Ticket kaufen kann. Seit fast 65 Jahren schwimme ich in Berlin und niemand will uns Alte mehr haben"




"Bei 35 Grad in einem Berliner Freibad richtig schwimmen. Das gab es 30 Jahre nicht"


"Endlich keine übervollen Freibäder"

"Ich stand mit meinen zwei Kindern über 30 Minuten an und konnte erst dann ins Wasser. Meine Kinder sind 4 und 5, für beide musste ich den vollen Preis zahlen" ***



So und so ähnlich lasen sich die Mails, hörten sich Gespräche an. Das Ticketsystem, der Ausschluss so vieler, aber auch die Tatsache, dass man schwimmen kann im Freibad, waren Themen in unzähligen Telefonaten und Gesprächen auf meinen Wegen, wenn ich Schwimmerinnen und Schwimmer traf.

Auffallend war, dass ich Zuschriften bekam, in denen von Hausverboten für Nichtigkeiten die Rede war.

Das bestätigte sich dann auch via Medien und in den Google Bewertungen. Da wurde aus ganz normalen Stammgästen von den BBB "Pandemieleugnerinnen" gemacht.

Die Leute, die sonst ein Hausverbot bekamen, sind eher nicht Leser*innen meines Blogs. Deshalb war ich völlig irritiert.  Wer war da von Hausverboten wirklich betroffen? Klar, ich habe in Berliner Bädern echt nervige Erwachsene erlebt- seitliches reinspringen, mit Equipment andere regelrecht wegballern etc.,  aber Hausverbot? Ich habe dazu allerdings auch anonyme Infos, offensichtlich von Mitarbeiter*innen in Bädern, erhalten, die ein Bild zeichnen von wirklich renitenten Bäderbesucher*innen.

Ich kann nicht beurteilen, was da vorgefallen ist.

Was auch auffallend oft in Zuschriften stand, dass man warten musste, bis man ins Wasser durfte. Leute, die ihre Mittagspause schwimmend verbringen oder zum Feierabend ins Schwimmbad gehen, kamen teilweise gar nicht ins Wasser, weil mehr Karten verkauft wurden als Platz im Wasser war.

Naja, und dann der übliche Driss: Leute, die auf Leinen turnen, die zu dritt, zu viert nebeneinander in Bahnen schwimmen, regelrechte Flashmobs in Form von offensichtlich verabredeten Schwimmerinnen und Schwimmern, die 3 von 4 Bahnen für sich beanspruchten und niemanden drauf liessen, obwohl noch Platz war laut Belegung und die üblichen Blockierer*innen und Kampfschwimmer*innen.

Das tolle an diesem Sommer aber war, dass man oft auch einfach nur schwimmen konnte in den Sommerbädern. Abgeleinte Bahnen bringen Ordnung in die sonst so chaotischen Freibäder dieser Stadt. Es dauert immer ein wenig, bis es auch die letzten begriffen haben, man muss aber tatsächlich vielen erstmal erklären, was es heißt, Regeln im Pool zu haben. Das gelang leider nicht in allen, aber in vielen der Sommerbäder der Stadt.

Ich finde es besonders erwähnenswert, dass nicht nur in meiner  Auswertung auffällt, wie oft das Kombibad Spandau Süd erwähnt wird- endlich entdecken diejenigen, die sonst sehr festgelegt waren auf "ihr" Bad, welch schöne andere Wasser Paradiese wir in Berlin haben. "Nettes Personal"- auch in offiziellen Bewertungen und das für ein Berliner Sommerbad. Hey, jetzt aber nicht alle auf einmal nach Spandau bei Berlin ;-)

Update: In der größten Stadt im Land ist die Sommersaison der von den Berliner Bädern betriebenen Sommerbäder zu Ende. Bei erwarteten 30 Grad. So schrecklich die Pandemie ist, sie hätte eine Chance sein können, für den Größten Bäderbetrieb Europas zumindest einen Herbst lang Freibäder bis zum Advent zu öffnen.  Ein Winter Freibad wäre zusätzlich natürlich ein Traum. Jetzt heißt es also, zurück in die Innenräume.

Meine Schwimmreisen

Mein ganz persönliches Fazit des Sommers ist ein ganz anderes als sonst.

Ich  habe das Freiwasser für mich wieder entdeckt. Und eine Entdeckung ganz anderer Art gemacht, nämlich wie angenehm es  sein kann, in Begleitung schwimmen zu gehen. Tausend Themen und schweigend schwimmen. Das geht. Im Freiwasser sind ganz andere Töne zu hören,  als in Berliner Bädern. Schwanengesang, Enten  Geschnatter, das Fiepen der Blesshühner und das Blubbern der Welse wenn sie uns sehen. Von hinten, weil wir natürlich schnell sind...

Ich war in Freibädern in Sachsen Anhalt und Brandenburg. In zweien habe ich 3 Euro gezahlt, in den meisten zwischen 1 Euro und 1,50 Euro. Darunter war ein Naturbad, das mich sehr beeindruckt hat. Freibäder, in denen Pool Regeln ganz offensichtlich schon immer gelten. In keinem musste ich Online kaufen, nur in einem musste ich am Anfang meine Daten angeben. In den meisten konnte ich duschen. Abstand, Maske, teilweise Tickets am Automaten, all das hat wunderbar funktioniert. Und in einem Freibad vor den Toren Berlins hab ich gefühlt die halbe Berliner Schwimmerschaft getroffen.

Ich war im Meer schwimmen und  in der Havel.

Der Sommer war einfach für mich persönlich  voller neuer Eindrücke über die ich im Einzelnen hier noch erzählen werde.


Letzte Woche zu Besuch in meiner ehemaligen Lieblingsschwimmhalle.
Ich kenne alle Kacheln mit Namen und sie waren auch alle noch da.

Auch sonst ist alles wie immer. Alles. Nur dass es jetzt auf Doppelbahnen stattfindet.

Ich geh wieder raus.



*Es gibt keine Möglichkeit sich zu registrieren seit der DSGVO. Das ist mir einfach zu viel Arbeit. Bitte keine Nachfragen dazu.

** Später kam die Option "Giro Pay" dazu, noch später gab es dann in 5 Sommerbädern auch an den Kassen Tickets. Ebenfalls wurde für die Jahreskarteninhaber*innen die Nutzung wieder eingeräumt

*** Kinder unter 5 Jahren mussten später dann nicht mehr zahlen