7 Tage, 7 Zeitfenster- 1 Schwimmhalle

Oder: Mein langer Abschied vom Kombibad Mariendorf.

Vom 02.04. bis zum 10.04.2022 war ich in unterschiedlichen Zeitfenstern in meinem früheren Stammbad. 7 Tage? Ja, weil das Bad Montags und Mittwochs nur ein Stündlein für die zahlende¹ Öffentlichkeit zugängig ist. Konkret: 6.30-7.30 Uhr. Stehst du in der Schlange hinten, biste um 6.45 im Wasser und musst um 7.15 Uhr raus. Dolles Angebot. Und wenn dann immer weniger Leute kommen, heißt es: Frühschwimmen lohnt nicht.

Also gingen die 7 Schwimms von Samstag bis Sonntag vor Ostern.

 

Statt Wellen lieber selber die Wellen machen

In meinem damaligen Kiez,  Kreuzberg  der 1980 er, gab es das Wellenbad am Spreewaldplatz. Außerdem das Freibad an der Prinzenstraße. Hype as hype can. 

 

Für eine Schwimmerin  unsexy. Irgendjemand erzählte vom Mariendorfer Schwimmbad. Mariendorf?

War mir ein Begriff. Geschichte geschrieben hat der Ortsteil im heutigen Berliner Bezirk Tempelhof Schöneberg 1976.

Ich war jung, hatte keine Ahnung von dem, was es wirklich bedeutet und habe sehr schnell begriffen, dass Widerstand nur möglich war, weil ich in einer Demokratie lebe.

Zurück zum Wasser.

50 klare Meter, weiches Wasser. Eine wirklich lange Schwimmerinnenliebe verbindet mich mit diesem Schwimmbad.

Ich weiß nicht, wie viele hundert Kilometer ich in diesem Kachelparadies zurück gelegt habe.

Ich weiß, dass ich es geliebt habe hier zu schwimmen.


Irgendwann veränderte sich etwas. Klar, Publikum geht, neues kommt. Bäder raus aus den Bezirkshoheiten. Ein Landesbetrieb steuert seit 1996 das Wohl und noch mehr das Weh der Bäder unserer Stadt.

Und mein altes Kachelparadies verkam immer mehr. Keine umfassende Sanierung hielt den Verfall auf.

Irgendwann kam eine Badleitung die das, hinter unscheinbaren Beton versteckte, Schwimmparadies auf Vordermann brachte.

Picobello sauber, jede noch so kleine Malaise des Schwimmbads wird, im übertragenen Sinne, gepflastert.

So ging es einige Jahre, in denen der Zustand konserviert wurde. Leider halten kleine Reparaturen nicht auf, was die Zeit nun mal macht, sie nagt an der Substanz.

Und irgendwann, 2015, hieß es dann: nicht mehr sanierungsfähig. Zu groß die Schäden, zu alt die Bausubstanz.  So wie man im Alter vielleicht Stützen benötigt, wird das Bad im Keller gestützt. Ist das eine Rohr repariert, platzt vor der Nase das nächste. So habe ich die Wartung mal erleben dürfen in all ihren Abschnitten. Da zauberte eine Badleitung eine Schraube hervor, die es sonst nirgends mehr gibt.Und schon läuft es wieder. Bis zum nächsten Loch in der Wand.

Große Pläne - Luftblase

2014 kam man, mit großem Getöse, mit der Idee "Multifunktionsbad" (Mufti) ums Eck. Finanziert aus Mitteln der SIWANA (Sondervermögen Infrastruktur der wachsenden Stadt und Nachhaltigkeitsfonds)

Etwa 40 Millionen sollte es kosten. Saunahäuschen, durch ein Tor nach außen in warmes Wasser planschen... Ähm, SCHWIMMbad?

 

Ratz fatz war die Schwimmerschaft mobilisiert. Das wollte man nicht in Mariendorf, im "Ankogelbad" genannten Schwimmbad (Adresse: Ankogelweg 95). Man befürchtete einen Wellnesstempel statt ein Schwimmbad zu bekommen. Der Blick auf die Pläne liess böses erahnen. Aus zwei 50 Meter Außenbecken wurde ein 12 Meter Warmwasser Quadrat auf dem Papier.

 

In Berlin wurden zwei solcher Mufti geplant. In Mariendorf und wenn das gebaut ist, ein zweites in Pankow.

 

Geplant, gelabert, nix passierte. Baukosten stiegen, Bebauungspläne erschienen nicht. Reden, Gerede, zerredet. Gehandelt wurde nicht.

In der Zwischenzeit wurde das Kombibad Mariendorf 45 Jahre alt. Und zerfiel immer weiter. Jeder Schwimm dort ist für mich ein Wunder.

 

2014... 8 Jahre später heißt es nun: kein Geld da für zwei solcher Bäder.

Um die Leserschaft außerhalb Berlins nicht mit zu vielen Details zu behelligen, der Zeitsprung ins heute.

Im Abgeordnetenhaus verkündete der Bäderbetreiber im März 22, dass man nun nur Pankow bauen wolle. Das koste round about 67 Millionen (!) für zwei 25 Meter Becken, weiteres Tralalala drum rum.

Was zu Hölle soll das. In Berlin sind (derzeit, kann jeden Tag mehr werden) 6 Bäder zu.

Nur ein Beispiel. 2019 Dachschaden Stadtbad Charlottenburg Neue Halle (neu_1974!).  Der Betreiber entschied nicht zu sanieren. Zack, Bad nun nicht mehr betriebsbereit. "Sanierung eventuell 2027"- Alter. Man lässt ein Schwimmbad vergammeln, Jahre und wird dann wieder jammern, wie teuer es wird.

Abreissen. Standardbäder bauen. Wasserflächen sichern und erweitern in einer wachsenden Stadt ist das Gebot der Stunde.

Wer  für 67 Millionen einen Palast in die eng bebaute Umgebung in Pankow klotzen will, sollte mal die Realität wahrnehmen.

Nichtschwimmerinnen und Nichtschwimmer haben wir nicht erst seit der Pandemie so viele.

Man will "irgendwann, vielleicht"  in Mariendorf bauen und geht sehenden Auges ins Desaster. In der Sitzung des Sportaussusses des Bezirks fasste der Vorsitzende die Wortbeiträge des ansässigen Vereins, Friesen, des Bezirkssportbundvertreters, der Politiker*innen und des Vorstands des Bäderbetreibers passend zusammen: "Wir haben also im Bezirk nackte Bäder kurz vorm Ruinenstatus"

Ja. Und statt jetzt zu handeln, ist man  beim Betreiber überzeugt: "wir haben es jedes Mal hingekriegt. NEIN. Habt ihr nicht und viele zahlende Bädernutzer*innen verloren. Jedes Mal!

"Klar, die Öffentlichkeit wird raus gedrängt (wörtlich vom Bäderchef)". Man "drängt die Mehrheit raus", was der Minderheit auch schaden wird. Ohne zahlende Besucher*innen noch weniger Bäder in Zukunft.

 

Ein Schwimmbad für Mariendorf

Natürlich wehren wir uns. Wir= das ist der Verband der Berliner Bäderbesucher e.V. (VdBBB).

Und wir haben, zusammen mit einem der fünf größten Schwimmvereine Berlins und dem Bezirkssportbund etwas auf die Beine gestellt, was es so noch nie in der Berliner Schwimmgeschichte gab.

Ein gemeinsames Statement.

Seit Jahrzehnten wurde seitens einiger Beteiligter in der Bäderpolitik und Bädergestaltung eine merkwürdige Konkurrenz behauptet. Konkurrenz zwischen der Öffentlichkeit, die mit einer riesigen Mehrheit das Gros der Bädernutzer*innen stellt, den Vereinen und dem Schulschwimmen.

Quatsch!

Schulschwimmen ist gesetzt. Ich kenne niemanden, der irgendwas dagegen hat,

Vereine sind ideal, um die Schwimmausbildung und die Förderung bis in den Hochleistungssport zu gestalten.

Lange Rede, kurzer Sinn: Das Statement- hier nachzulesen- ist ein Meilenstein. Niemand wird mehr behaupten können, dass Vereine, Bezirkssportbund und Vertreter der zahlenden Bäderbesucher*innen sich gegenseitig das Wasser abgraben.

Schwimmbad rostet, alte Liebe nicht

Doch.

Alles, was ich zum Kombibad Mariendorf schreibe, klingt doch idyllisch, diese lange Liebe zum Schwimmbad.

Diese Liebe hat  in den letzten Jahren leider stark gelitten.

Disziplinlose Menschen, mehrere schwere Unfälle auf die nicht reagiert wurde.

Hoch aggressive Schwimmer, die nicht nur mit Wort, sondern auch mit Tat- ältere Frau mit dem Kopf unter Wasser drücken und andere, üble Dinge- das Schwimmen zu einer Glückssache machen. Natürlich auch Schwimmerinnen, die weder Anstand noch Abstand kennen und das Schwimmen als Hängepartie in der Schnellschwimmbahn/ Sportbahn verstehen.

Da schlagen Leute massiv um sich, schwimmen mit Langflossen und riesigen Paddles und man läuft Gefahr, verletzt zu werden.

Viele Dinge, die den Schwimm nicht mehr das sein liessen, was er für mich sein soll.

Der letztliche Auslöser war ein schwerer Schlag, mit voller Absicht seitens eines Schwimmers, auf meinen Arm.  Nachdem das direkt angesprochene Personal meinte "und was sollen wir machen?" hatte ich (erneut) den Betreiber um Hilfe gebeten. Eine selten dämliche Reaktion war alles.

Der Schläger ist noch da. Und macht weiter.

Das war es dann für mich.

Sporadische Besuche in den letzten Jahren (ab 2018). Und durch Corona deutlich sichtbar, wie es im Schwimmbecken zu oft zugeht. Mit 25 Personen in einer sogenannten "Doppelbahn", ohne jede Sortierung. Ein Schild "Schnellschwimmbahn" und es dümpeln Leute nebeneinander, palavern an der Wand zu 9 Personen. Spazieren im flachen Teil Leuten in die Rollwende, halten ihre Füße mit voller Absicht wendenden Menschen auf den Rücken und niemand schreitet ein, auch nicht, wenn der Mittfünfziger im flachen Teil einen Kopfsprung macht.

 

Jetzt also eine Rückkehr

Befürchtet hatte ich das Schlimmmste.

Erlebt habe ich 7 Schwimms,  in denen ich mich von nichts und niemanden aufhalten liess.Und sie waren alle da!

Die Frau, die allen Ernstes meint, man solle keine Rollwende machen, weil sie im flachen Teil ihre "Arschmuskeln" latschend entspannen will (das sagt sie wirklich genau so)

Rollwende auch wenn da X Leute rum stehen. Natürlich haue ich niemanden mit Absicht meine Füße ins Gesicht. Sie werden schon ausweichen. Klingt rabiat? Ist es auch. In diesem Berliner Schwimmbad habe ich gelernt, dass Pool Rules unbekannt sind und das Recht der Stärkeren gilt.

In allen Zeitfenstern bin ich so geschwommen, wie ich das möchte. Nicht mal hier 100, mal da 25 um mitten auf der Strecke von irgendwelchen sich überschätzenden Aqua Kings und Queens blockieren zu lassen.

Nein, ich haue noch immer niemanden. Würde ich hier weiter den Hauptteil meiner Schwimms absolvieren, wäre ich wohl in ein, zwei Jahren bereit, mit Absicht Leute an der Markierung zu überholen, überholende auszubremsen oder mich einfach mittig an die Wand zu stellen, um Honks das zurück zu geben, was sie machen.

Und  so möchte ich nicht werden. Es ist ok, sich zu wehren, offensiv zu schwimmen. Mit voller Absicht rücksichtslos zu agieren: nein.

Ich habe nämlich mal schwimmen gelernt. Und dazu gehören Regeln.

 

Der letzte Schwimm war ein wenig so wie früher. Seufz.  Eine Mitarbeiterin hat sich meinen Schwimm angeschaut und beim Plausch mich aufmerksam gemacht auf einen "zu steifen Rücken". Sie hat so recht, ich kann das sogar fühlen. Auch wenn es schon besser ist, aber nach dem bösen Sturz letztes Jahr hat sich einiges neues an Unarten eingeschlichen (und alte zurück...)

 

Ich habe, und das war neben dem Schwimmen das wichtigste, (fast) alle lieb gewonnenen Mitschwimmis noch einmal getroffen. Klar, mit einigen habe ich privaten Kontakt. Es gibt auch die, die man nur immer sieht, sich grüßt, mal ein Wort wechselt. Und Personen vom Personal natürlich. Klaro, auf Leute, die bevor man auch nur ankommt schon zetern, auf nicht grüßende oder pampige Leute kann ich verzichten. Es gibt ja auch die netten. Und Neue. Mit Kuchen. Naja, ich vermisse das Schwimmbad schon seit meiner Entscheidung, kein echtes "Stammbad" mehr zu wollen, das kann man wohl raus lesen.

 

Ab 11.04.2022 schliesst das Komibad Mariendorf die Schwimmhalle. Revision. Und es sollen nun außerdem ein paar kleinere Sanierungsarbeiten vorgenommen werden und das Hallenbad dann im Herbst wieder öffnen.

Freibad frühestens Ende Mai. Da krieg ich schon wieder zu viel. Ende Mai. Während andere Städte im Winter ihre Freibäder geöffnet lassen, die Saison in Strandbädern Anfang Mai beginnt.Richtig albern wird es, wenn das Strandbad Wannsee, jwd, also janz weit draußen, bei 12 Grad und Regen Karfreitag öffnet statt in der Stadt ein Freibad mit Infrastruktur Anbindung bereit zu stellen.

 

"Nicht sanierungsfähig" und nun mal schnell in 3, 4 Monaten was machen?

Das hat man auch über die Schwimmhalle Marzahn gesagt. Aus 3 Monaten wurden Jahre. Das hat man auch über die Schwimmhalle Finkensteinallee gesagt und über das Paracelsus Bad und über das Stadtbad Tiergarten und und und.

Ich vertraue diesen Aussagen nicht mehr.

 

Ich habe mich mit meinen Schwimms in den letzten 7 Tagen von meiner großen Schwimmerinnenliebe verabschiedet.

Jede Kachel kenne ich. Und sie sind übrigens noch original (in der Halle).

Am 07.04.1975 ist das Kombibad eröffnet worden. Es wurde also gerade 47 Jahre alt. Hat aber keinen interessiert.

Wenn es wieder öffnet schön. Wenn nicht, habe ich es noch einmal intensiv genossen und bei jedem Aufenthalt an die vielen tausend Stunden schwimmen gedacht.

Tschüss, Ankogel!



Infokasten

Um mal ein paar Zahlen zu nennen:

Der im Bezirk Tempelhof Schöneberg befindliche Ortsteil Mariendorf hat rund 52 Tsd Einwohner*innen.

Das Kombibad Mariendorf ist Einzugsgebiet auch für die Ortsteile Marienfelde mit ca 32 Tsd  und Lichtenrade mit rd 52 Tsd Einwohner*innen-

Der Bezirk Tempelhof Schöneberg hat zusammen rd 350 Tsd Einwohner*innen.

In der Liste der Bäder habe ich nur die Hauptbecken genannt, es gibt natürlich Lehrschwimmbecken, teilweise Sprungbecken etc.

 

1 Vereinsbad (1967) mit 50 Meter (einige Tage öffentliches Frühschwimmen)

1 Vereinsbad (1964) mit 25 Meter (ca 14 Stunden wchtl öffentliches schwimmen, dafür Sonntags zu)

1 Kombibad Mariendorf (1975), 50 Meter drinnen, 2 x 50 Meter außen (nur im Sommer), ca 80 Betriebsstunden auch öffentlich

1 Warmwasser Familienbad (1930), 25 Meter, täglich 8-22h geöffnet

1 Freibad (1955)mit 50 Meter Becken, nur kurze Sommersaison Juni-Ende August




 ¹Zahlende Öffentlichkeit, weil in Berlin sonst niemand für den Schwimmbad Eintritt zahlt. Vereine, Feuerwehr, Polizei, Schulen, aus der Sportförderung finanzierte Organisationen, Betriebssport etc. bezahlen nichts für die Nutzung von Bädern. Wie die Verteilung ist, liest man hier


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